16.06.2015 13:24

Teresa von Avila

"Uns zu Engeln aufschwingen zu wollen..."

Teresa von Avila kam am 28. März 1515 in Kastilien zur Welt. Ein halbes Jahrtausend trennt uns von dieser gescheiten, zu tiefer Freundschaft fähigen Frau, und bis heute spricht sie durch ihre Werke mit uns. Das Lassalle-Haus widmet der Mystikerin vom 5. – 8. November die Jubiläums-Tagung Ein Genie der Freundschaft. Wir freuen uns über alle, die mehr über diese grosse Persönlichkeit erfahren wollen.
Wir laden Sie zudem ein, mit Teresa durchs Jahr zu gehen. Jeden Monat finden Sie hier einen Impuls dazu – heute den vierten mit Ulrich Dobhan, Provinzial des Teresianischen Karmel in Deutschland, der unzählige Stunden mit Teresa verbrachte: Pater Dobhan hat sämtliche Schriften der Mystikerin mitübersetzt.

In den letzten 15 Jahren haben Sie sich intensiv mit Teresa von Avila beschäftigt: Sie haben rund 3 200 Seiten von ihr vom Spanischen ins Deutsche übertragen – Teresas gesamtes Werk. Was fasziniert Sie an dieser spanischen Heiligen?
Von Anfang an mit dabei war Mitschwester Elisabeth Peeters– allein war das nicht zu schaffen. Während dieser Jahre intensiver Arbeit – neben all der anderen – lernten wir Teresa noch einmal näher kennen. Ihren Stil, ihre Persönlichkeit, ihren Mut, ihr Gottvertrauen, ihre Gabe für Kontakte und Freundschaft, ihre kaufmännischen Fähigkeiten, ihre Menschenkenntnis, aber auch ihre Grenzen und Phasen der Mutlosigkeit. All das ist wirklich faszinierend.

Beginnen wir mit Teresas Frömmigkeit, seit Jahrhunderten gepriesen. Was ist daran beispielhaft?
Teresas Fromm-Sein ist erdverbunden, nie abgehoben, immer selbstkritisch, aber keineswegs unterwürfig. "Wir sind keine Engel, sondern haben einen Leib", schreibt sie in ihrer Vida. "Uns zu Engeln aufschwingen zu wollen, während wir noch hier auf Erden leben – und dazu noch so sehr der Erde verhaftet, wie ich es war –, ist Unsinn." Dieser Satz bringt ihre Frömmigkeit auf den Punkt und sagt viel mehr über sie aus als die vielen erfundenen Gebete oder Texte, die über sie kursieren. Wie das "Gebet des älter werdenden Menschen" oder das an den Herrn der Töpfe und Pfannen gerichtete – so geistlos war Teresa nicht. Die Grundlage ist ihre humildad, ihre Demut, die sie definiert als "Leben in Wahrheit": Einerseits hinfällig, vergänglich, erbärmlich, aus Erde – humus – gebildet und andererseits von Gott gemacht zu sein.

"Gott allein genügt", sagte Teresa. Wie ist das zu verstehen?
"Gott allein genügt" ist eine missverständliche deutsche Wiedergabe ihres "Sólo Dios basta". Es ist die Kurzform ihres umfassenderen Gedankens: Nur Gott ist groß genug, um allen Ansprüchen des Menschen zu genügen, weil der Mensch so groß ist und sich mit nichts Geringerem zufrieden geben soll. Ganz im Sinn des berühmten Satzes des Johannes vom Kreuz: "Ein einziger Gedanke des Menschen ist mehr wert als die ganze Welt; darum ist nur Gott seiner würdig." Angesichts einer heutigen, in erster Linie auf Konsum, Wellness und Nützlichkeit ausgerichteten Mentalität sagen die Heiligen des Karmel: Lebt nicht unter eurer Würde! Begnügt euch nicht mit etwas, das euch nie genügen kann!

Teresa ist Lehrmeisterin des Betens.
Das hat Papst Paul VI. durch ihre Ernennung zur Kirchenlehrerin am 27. September 1970 – der ersten in der Geschichte der katholischen Kirche – endlich auch kirchenamtlich festgestellt. Sie ist schon zu Lebzeiten von vielen Menschen als solche anerkannt worden, darunter auch von Theologen und Bischöfen, einschließlich des Großinquisitors.

Was hat sie uns heute als Lehrmeisterin des Betens zu sagen?
Teresa hat es meisterhaft verstanden, die immer wieder bedauerte Kluft zwischen Actio et Contemplatio zu überwinden – das Spannungsfeld also zwischen dem Leben aus der Stille und dem Leben im Einsatz für die Menschen. Sie hat Beten definiert als Lieben, als "Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt". Eine Freundschaft kann nicht auf einige Augenblicke am Tag beschränkt sein, sie besteht immer, und für eine wahre Freundschaft findet man immer Zeit – oder es ist keine Freundschaft.

Allerdings klagte auch sie immer wieder über Zeitmangel.
Kein Wunder bei der Unmenge von schätzungsweise 15 000 Briefen, die sie neben ihren anderen Schriften geschrieben hat, abgesehen auch von den vielen Reisen und Verhandlungen. Und dies alles bei einer zeitlebens schlechten Gesundheit. Worauf es dabei ankommt: daran zu glauben, dass der in Jesus von Nazareth menschgewordene Gott uns immer liebt, und wer sich geliebt weiß, kann wachsen, sich entfalten: "Ich sah, dass er zwar Gott, aber auch Mensch war, der sich über die Schwächen der Menschen nicht entsetzt, sondern Verständnis hat für unsere armselige Lage […]. Ich kann mit ihm umgehen wie mit einem Freund, obwohl er doch Herr ist. Denn ich erkenne, dass er nicht ist wie die, die wir hier als Herren haben, die ihr ganzes Herr-Sein auf "Autoritätsprothesen" gründen. Man braucht Sprechstunden und privilegierte Leute, die mit ihnen sprechen. Wenn es irgendein armer Kerl ist, der irgendein Anliegen hat, wird es ihm noch mehr Hin und Her und Beziehungen und Mühen kosten, es vorzubringen! Und wenn er es gar mit dem König zu tun hat, dann dürfen arme und nichtadelige Leute erst gar nicht hinzutreten, sondern man muss fragen, wer die einflussreichsten Günstlinge sind. Und das sind ganz gewiss nicht solche Personen, die die Welt unter ihren Füßen haben, denn solche sagen Wahrheiten, die sie weder fürchten noch schuldig bleiben; sie taugen nicht für den Palast, denn Wahrheiten dürfen dort nicht vorkommen, sondern man muss verschweigen, was einem schlecht erscheint, ja, sie dürfen noch nicht einmal wagen, es zu denken, um nicht in Ungnade zu fallen." – Teresas Beten als gesellschafts- und kirchenkritische Instanz!

Trotz fragiler Gesundheit hatte sie eine immense Schaffenskraft. Wie ist das zu erklären?
Sicher nicht dadurch, weil sie "asketische Höchstleistungen" vollbracht oder sich "in höchste mystische Höhen aufgeschwungen hat", wie man selbst heute noch in manchen Darstellungen lesen oder hören kann. Sondern weil sie überzeugt war: "Wenn ein so guter Freund dabei ist, zusammen mit einem so guten Anführer, der sich als Erster ins Leiden stürzte, kann man alles ertragen: Er hilft und gibt Kraft, er versagt nie, er ist ein echter Freund." Ihr Bemühen, aus dieser Freundschaft zu leben, verlieh ihr die Kraft zum Durchhalten.

Teresa und ihre Mitstreiterinnen tauschten die Kleidung feiner Klosterdamen gegen raue Wollstoffe und zogen die Schuhe aus. Descalzadas – Unbeschuhte nannte man sie fortan. Wie wichtig waren solche äusserlichen Zeichen?
Anhänger von Reformbewegungen in den Orden nannte man schon vor Teresa Descalzos, so etwa die Franziskanerinnen. Diese äußerlichen Merkmale des damals üblichen Reformideals waren für Teresa zweitrangig, sie war auch eigentlich keine "Unbeschuhte" Nonne; sie verschaffte sich und ihren Mitschwestern einen zweifachen Freiraum: den Klausurbereich, in dem sie als Frauen ihr Leben ohne Einmischung durch die Männer regeln konnten und den geistlichen Freiraum durch das persönliche Betern im Unterschied zur Erledigung von Gebetsverpflichtungen.

Für ihren Zeitgenossen Nuntius Felipe Sega war sie fortan ein "herumvagabundierendes Weib".
Der Nuntius mochte sie nicht, weil Teresa für sich und ihre Schwestern das innere Beten reklamierte, also den persönlichen Umgang mit dem menschgewordenen Gott. Sie reklamierte eine geistliche Freiheit, die sich nicht mit von Männern vorgeschriebenen Gebetsformeln zufrieden geben wollte, sondern ermutigte die Schwestern, zu Gott Du zu sagen, je nach persönlichen Verfassung. "Wenn ihr froh seid, dann schaut auf ihn als Auferstandenen, denn allein schon die Vorstellung, wie er aus dem Grab kam, wird euch froh machen. […] Wenn ihr in Nöten oder traurig seid, betrachtet ihn an der Geisselsäule, schmerzerfüllt, ganz zerfleischt wegen der großen Liebe, die er zu euch hat". Das hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren. Teresas inneres Beten ist keine "Meditationsmethode", die man erlernen kann, sondern im wahrsten Sinn des Wortes eine echte Freundschaft.

Wie feministisch war Teresa?
Sie hat sich zunächst als Frau ganz und gar angenommen; aufgrund ihrer Erfahrung war sie überzeugt, „dass wir Frauen nicht so leicht zu durchschauen sind“ wie die Männer. Und seien es Beichtväter. Sie durchschaute die Aufgeblasenheit vieler Theologen, auch kirchlicher Prälaten, ihres Wissens und ihrer Titel bewusst. Und sie wusste, wie eingeengt verheiratete Frauen waren, selbst wenn sie zum Hochadel gehörten: "Das ist eine Knechtschaft, eine der Lügen der Welt, solche Menschen Herrschaften zu nennen, die nach meinem Dafürhalten nichts sind als Sklaven von tausenderlei Dingen". Doch das eigentliche Fundament für ihren Feminismus war ihr Glaube, vom Gott Jesu Christi bedingungslos angenommen zu sein: "Du, Herr meiner Seele, dir hat vor den Frauen nicht gegraut, als du durch diese Welt zogst, im Gegenteil, du hast sie immer mit großem Mitgefühl bevorzugt, und hast bei ihnen genauso viel Liebe und mehr Glauben gefunden als bei den Männern."


P. Ulrich Dobhan, Provinzial des Teresianischen Karmel in Deutschland, Professor am Centro Teresiano-Sanjuanista in Avila. Mitübersetzer/Herausgeber der Schriften von Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz.

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