28.07.2015 10:08

Teresa von Avila

Gottesfreundin in „schweren Zeiten“

Teresa von Ávila kam am 28. März 1515 in Kastilien zur Welt. Ein halbes Jahrtausend trennt uns von dieser gescheiten, zu tiefer Freundschaft fähigen Frau, und bis heute spricht sie durch ihre Werke mit uns. Das Lassalle-Haus widmet der Mystikerin vom 5. – 8. November die Jubiläums-Tagung Genie der Freundschaft. Wir freuen uns über alle, die mehr über diese grosse Persönlichkeit erfahren wollen - es hat noch einige Plätze frei.

Wir laden Sie zudem ein, mit Teresa durchs Jahr zu gehen. Jeden Monat finden Sie hier einen Impuls dazu – heute den fünften von Mariano Delgado, Theologie-Professor an der Universität Fribourg und ein profunder Teresa-Kenner. In seiner Betrachtung "Gottesfreundin in schweren Zeiten" stellt er zwei Frauen ins Zentrum, die im Spanien des 16. Jahrhunderts ihren Weg suchten: Lesen Sie vom Aufbruch der María de Cazalla und Durchbruch der Teresa von Ávila.

Eine Gottesfreundin in „schweren Zeiten“

Im 16. Jahrhundert war der traditionelle kirchliche Misogynismus vorherrschend – die Frauenfeindlichkeit, wie dies etwa im 1486 publizierten Hexenhammer (Malleus Maleficarum) des Inquisitors Heinrich Kramer zur Sprache kommt. Darin heisst es, dass die Frau „immer geringeren Glauben hat und wahrt, und zwar von Natur aus“. Auch die Bibel galt als Fundgrube für die Kontrolle und Unterordnung der Frau, ganz besonders unter Verweis auf 1 Kor 14, 33-34 und 1 Tim 2, 11.
Spanien war in jener Zeit ein spirituell hoch produktives Land, dies aufgrund des   Richtungskampfes zwischen „Recogidos“ (Gesammelte, sie unterstellten sich der Obhut des Klerus) und „Dejados“ (Losgelöste, sie lehnten Klerus und Riten ab), in ihrer extremen Variante auch „Alumbrados“ (Erleuchtete) genannt. Beiden religiösen Gruppierungen ist die Pflege des inneren Betens gemeinsam, das als die bessere Gebetsart betrachtet wurde. Die Recogidos verbanden es mit Askese, guten Werken, kirchlicher Praxis und mündlichem Gebet. Die Alumbrados neigten zur Verabsolutierung des inneren Betens, sie betonten die Unmittelbarkeit vor Gott als lebendiges Buch und schätzten die kirchlichen Sakramente und Zeremonien sowie ethische Laxheit geringer ein.
Nach dem Inquisitionsedikt von 1525 und weiteren Verurteilungen 1529 galten die Alumbrados als beseitigte oder zumindest kontrollierte Gefahr. Gleichwohl werden Illuminismus (und Dejamiento oder Quietismus) das Damoklesschwert in der Spiritualität und Mystik der Frühen Neuzeit bleiben.

Aufbruch: María de Cazalla (1487 bis nach 1534)

Die Alarmglocken läuteten erneut, als 1532 das Konventikel von María de Cazalla (die religiösen Zusammenkünfte in ihrem Haus) aufgedeckt wurde. Sie entstammte einer begüterten und gebildeten Converso-Familie. Ein Bruder wurde Bischof. Ein Neffe, Agustín de Cazalla, Prediger und Kaplan Karls V., war der Kopf der Kryptoprotestanten von Valladolid, die ihre Sympathien mit den Reformatoren im katholischen Spanien verbergen mussten; Agustín wurde nach dem Autodafé, dem Glaubensgericht der spanischen Inquisition von 1559 hingerichtet.

María de Cazalla war verheiratet und Mutter von sechs Kindern. Beim Prozess wurde ihr mit Zuhilfenahme des Apostels Paulus vorgehalten, dass Denken, Reden und Lehren den Frauen nicht zustehen. Sie habe sich „das Amt einer Predigerin und Lehrerin“, ein Amt, das „nur den klugen Ordensmännern“ zustehe, angemasst und damit ihre Arroganz und Kühnheit gezeigt. Als Zeichen ihrer Losgelöstheit (Dejamiento) von allen Dingen dieser Welt sagte sie vor Gericht aus, dass sie bei der Zeugung der Kinder keine Lust gespürt habe und diese nicht mehr liebe als die der Nachbarn. Aber sie sagte auch, dass die Ehe besser sei als die Jungfräulichkeit im Ordensstand, und dass sie beim Geschlechtsakt die Gotteinung, die unio mystica gespürt habe. 1534 kam sie nach der Zahlung von hundert Dukaten mit einer leichten Abschwörungsstufe frei. Ihr war der Prozess auch deshalb gemacht worden, weil sie als Mutter den Ehestand als „Weg der Vollkommenheit“ betrachtete – eine phänotypische Provokation.

Durchbruch: Teresa von Ávila (1515-1582)

Als Teresa, die 1535 ins Kloster eingetreten war, ihre Ordensreform 1562 zu verwirklichen begann, musste sie nicht nur das Problem der Alumbrados in Betracht ziehen. Sie hatte auch die wachsenden Vorbehalte gegen das innere Beten und die Frauen zu bedenken, die sich nach den Autodafés von 1559 in Sevilla und Valladolid zu einem regelrechten „Wahn“ steigerten. Der beste Ausdruck davon ist das Gutachten des Dominikaners Melchior Cano 1559 über das Werk Comentarios al Catechismo christiano (Antwerpen 1558) des Erzbischofs von Toledo, Bartolomé Carranza, ebenfalls Dominikaner. Carranza trat für die Bibelübersetzung sowie für die Förderung des spirituellen Aufbruchs von Laien und Frauen ein. Das gemeine Volk aber, so Cano, sollte Marta sein und nicht versuchen, es Maria nachzumachen. Wer die allgemeine Berufung zur Vollkommenheit der Laien in der Welt ohne die evangelischen Räte verkünde, der wisse mehr als Christus, der gesagt habe: „Geh, verkaufe, was du hast […] (Mk 10,21)“ – und nicht „geh und bete innerlich im Geiste“.
Carranzas Meinung, dem Volk zumindest Teile der Bibel wie die Evangelien und die Episteln in der Volkssprache zu geben, wird von Cano als „unklug und gefährlich“ eingestuft; das werde in Spanien zu ähnlichen Zuständen wie in Deutschland führen. Vielmehr sollte man davon ausgehen, dass die Bibel nicht für „Zimmermannsfrauen“ geschrieben worden sei: „Auch wenn die Frauen mit unersättlichem Appetit danach verlangen, von dieser Frucht zu essen, ist es nötig, sie zu verbieten und ein Feuermesser davor zu stellen, damit das Volk nicht zu ihr gelangen könne“.

Nach diesem Gutachten setzte Großinquisitor Fernando de Valdés 1559 einige Werke geistlicher Autoren auf Spanisch auf den Index und verfügte deren Konfiszierung. Als Teresa bald darauf einige solcher Bücher aus ihrer Zelle genommen wurden, war sie sehr betrübt. Aber zugleich fühlte sie sich vom Herrn selbst getröstet: „Da sagte der Herr zu mir: ‚Sei nicht betrübt, denn ich werde dir ein lebendiges Buch geben‘“. Aufgrund dieser Ermutigung von oben ließ sich Teresa in jenen „schweren Zeiten“ nicht abhalten, ihren Weg der Ordensreform entschlossen und klug zu gehen und in ihren Büchern mutig zu sagen, „was ich verstehe“. Aber sie musste in Kauf nehmen, dass sie als Frau Anstoss erregend war. In einem Brief vom 4. Oktober 1578 schreibt sie, sie wisse, dass sie als „ein herumvagabundierendes und unruhiges Weib“ verschrien sei. So hatte Nuntius Filippo Sega sie in der Tat bezeichnet.
Dass wir bei Teresa dennoch von einem Durchbruch der Frauenmystik sprechen können, hängt mit folgenden Faktoren zusammen, die ihre kirchliche „Domestizierung“ begünstigten: Sie lässt sich von klugen Beichtvätern beraten, die gutes Urteilsvermögen, geistliche Erfahrung und theologisches Wissen besassen. Sie vermeidet apodiktische Aussagen im Streit über das innere und das mündliche Beten. Sie hält Ersteres für die Grundform des Betens und definiert es in genialer Einfachheit als „Freundschaftspflege mit Gott“, wo nicht „viel zu denken, sondern viel zu lieben“ wichtig sei. Aber sie empfiehlt beide Gebetsformen und lehrt ihre Schwestern, wie sie mündliches und inneres Beten verbinden können. Sie lobt die Gelassenheit, aber sie vernachlässigt weder die kirchliche Vermittlung in Sakramenten und Riten noch die Werke der Barmherzigkeit. Und sie ist phänotypisch nicht eine verheiratete Frau und Mutter, sondern eine Ordensfrau, die sich der Kontrolle des Klerus unterstellt.

Zu Teresas Durchbruch gehört aber auch, dass wir bei ihr Anklänge an den gescheiterten Aufbruch der María de Cazalla finden sowie eine Kritik an den Fesseln, die Kirche und Gesellschaft den Frauen anlegten. Teresa geht nicht so weit, den ehelichen Geschlechtsakt als Weg zur unio mystica zu preisen, aber sie gibt zu verstehen, dass man auch in den Geschäften der Welt den Weg der Vollkommenheit gehen kann. Und sie spricht vom „Sakrament der Ehe“ als Sinnbild für die geistliche Verlobung, weil sie, „auch wenn es ein plumper Vergleich sein mag“, keinen besseren finde – bevor sie in der sechsten und siebten Wohnung der „inneren Burg“ zwischen Verlobung und Vermählung unterscheidet und für Letztere auf andere Metaphern zurückgreift: „Hier ist es aber, wie wenn Wasser vom Himmel in einen Fluss oder eine Quelle fällt, wo alles zu einem Wasser wird“.
Teresa predigt nicht in Konventikeln außerhalb der Kontrolle des Klerus, aber sie organisiert ihre Klöster wie Zirkel mit weitgehender weiblichen Autonomie und bedauert, dass sie und ihre Schwestern „weder lehren noch predigen“ durften, ja, dass die Frauen „eingepfercht“ wurden, weil sie für unfähig gehalten wurden, in der Welt apostolisch zu wirken, „oder es nur zu wagen, ein paar Wahrheiten auszusprechen“.
Eine der subtilsten Anspielungen in ihrem Werk ist die auf den theologischen Misogynismus, wie er im eingangs zitierten „Hexenhammer“ zum Ausdruck kommt. Während es darin heißt, dass die Frau von Natur aus „immer geringeren Glauben hat“, lässt Teresa mit diesem Stossgebet aufhorchen: „Du, Herr meiner Seele, dir hat vor den Frauen nicht gegraut, […] du hast sie immer mit grossem Mitgefühl bevorzugt und hast bei ihnen genauso viel Liebe und mehr Glauben gefunden als bei den Männern“.

Teresas Lehrautorität

Eine so selbstbewusste Frau als Ordensreformerin und spirituelle Autorin war sehr gewöhnungsbedürftig, ja begründungspflichtig. Im Vorwort zur Erstausgabe ihrer Schriften 1588 (zu Lebzeiten durfte sie nichts publizieren) musste der Augustiner und Salamanca-Professor Luis de León ein rhetorisches Kunststück vollbringen, um Teresas Lehrautorität als „Frau“ zu verteidigen. Zunächst schickt er voraus, es sei sonst nicht Sache einer Frau zu lehren, „sondern belehrt zu werden, wie der Apostel Paulus schreibt“. Dann bezeichnet er es als „etwas ganz Neues und Unerhörtes“, ja als List Gottes zur besonderen Demütigung und Beschämung des Teufels, dass gerade „eine arme und einsame Frau […] so weise und geschickt“ die Ordensreform vorangetrieben und dabei die Herzen aller gewonnen hat. Anschliessend bescheinigt Luis de León Teresa von Ávila höchste Lehrautorität: „Ich halte für sicher, dass an vielen Stellen der Heilige Geist aus ihr spricht, der ihr Hand und Feder führte“.

Mariano Delgado

Prof. Dr. theol./Dr. phil. Mariano Delgado, Fribourg. Professor für Kirchengeschichte an der Universität Fribourg. Studienleitung des Lehrgangs Christliche Spiritualität (Lassalle-Haus/Universität Fribourg). Forschungsschwerpunkte u.a.: Teresa von Ávila, Johannes vom Kreuz, Bartolomé de Las Casas.

Zurück