12.05.2015 10:25

Zen und Yoga – Körperbewusstsein und Leibeserfahrung

Im Juni findet im Lassalle-Haus ein besonderes, «integrales» Sesshin statt, das Zen-Praxis mit Yoga verbindet. Dies ist eine hilfreiche Kombination, um den Körper und das Körperbewusstsein für die Konzentrationsübung zu nutzen. Dabei kommt es auf kleinste und feinste Wahrnehmungen an, vor allem aber darauf, jede Art von Spannung wahrzunehmen und aufzulösen, damit das Bewusstsein frei werden kann. Gleichzeitig sind die Yoga-Übungen natürlich für das körperliche Befinden eine Wohltat, die man als Gegengewicht zum reglosen Sitzen zu schätzen weiss.

Ziel der Meditation ist Weisheit
Im Zen geht es darum, durch unmittelbare Einsicht in die «wahre Natur» der Wirklichkeit das Wesen des menschlichen Lebens direkt zu erfahren. Selbstdisziplin und achtsamer Umgang mit Lebewesen und Dingen sind Voraussetzung für die Zen-Praxis. Denn die spezielle Praxis der Meditation ist nur ein Aspekt der Lebens-Übung, d.h. jede Aktivität des Menschen wird zur konkreten und kreativen Einübung von Konzentration. Die Praxis besteht zunächst in fokussierter Konzentration (meist auf die Sitzhaltung und den Atem), die die psychosomatischen Energien bündelt, um dann eine nicht-fokussierte Achtsamkeit des Bewusstseins zu erreichen. Diese ist nicht an irgendein Objekt mit räumlich oder zeitlich bestimmten Merkmalen gebunden ist, sondern entspricht einer über dem Raum ausgebreiteten Wachheit und einer Wahrnehmung der Gleichzeitigkeit aller Erscheinungen. Ziel der Meditation ist Weisheit; Weisheit bedeutet, jenseits von mentalen Projektionen eine Bewusstheit und Einsicht in die «Wirklichkeit wie sie ist» zu erreichen. In einem meist plötzlich erlebten Durchbruch zu einer Erfahrung des Geistes seiner selbst (jap. kensho, satori) werden alle Widersprüche und Dualitäten aufgelöst, die das rationale Bewusstsein kennzeichnen, und alle Erscheinungen der Welt erscheinen in ihrer Einheit, ohne dass die Vielheit verschwinden würde. Diese Erfahrung zeichnet sich meist durch überdeutliche Klarheit der Wahrnehmung aus, sie wird als befreiend erlebt und ist von tiefen emotionalen Glücks- und Geborgenheitsgefühlen begleitet. Zen glaubt, dass sich dabei dem Bewusstsein das Wesen der Wirklichkeit jenseits der Zeit, jenseits von Leben und Sterben, eröffnet. Die Erfahrung selbst wird als Tod des Ichgefühls bzw. der alten Identität des Menschen und als Wiedergeburt in einer anderen Bewusstseinsweise erlebt. Das ganze Leben wird nun durchdrungen von dieser Erfahrung, wobei diese Einwurzelung im Alltäglichen ein Hauptanliegen der Zen-Tradition ist.

Körpererfahrung der Unendlichkeit
Die Zen-Übung vergegenwärtigt die radikale Vergänglichkeit jedes Augenblicks. Hat sich der oder die Übende in diesem einen entscheidenden Augenblick völlig losgelassen, sind Raum und Zeit überschritten und er/sie erfährt die Grenzenlosigkeit und Zeit-Ewigkeit. Diese Ewigkeit ist nicht die unendliche Ausdehnung der Zeit, sondern ein zeitloser Raum, der gleichsam unendlich-dimensional und somit null-dimensional ist. Die Körpererfahrung ist dabei eine unendliche Ausdehnung, die aber so gefüllt ist, dass strömende Energie als Kraft fliesst, die aus einem Zentrum kommt, das überall ist. Der Strom wird durch nichts gehindert, und er ist doch in jeder körperlichen Form, die mit den Sinnen wahrgenommen wird. Diese Nicht-Dualität ist ein Zustand, der nirvana genannt wird, in dem gleichsam alle verfestigten oder substantialisierten «Knoten» im Bewusstsein aufgelöst sind, weil das geist-körperliche Kontinuum frei, spontan und zeitlos fliesst.

Unübertroffen prägnant ist Leiberfahrung im Zen in den letzten Zeilen des «Liedes des Zazen» (Zazen Wasan) des japanischen Zen-Meisters Hakuin (1686-1769) aus der Rinzai-Schule beschrieben. Dort heisst es:

Dieser Ort ist das Lotos-Land.
Dieser Körper ist der Buddha-Körper.

Das bedeutet: das Wesen des Menschen ist nicht getrennt vom Wesen dieses Körpers, sondern dieser Körper, dieser Ort ist der Buddha und das Buddha-Land. Die Frage, wie weit der Körper ausgedehnt ist und wie offen diese Wahrnehmung ist, ist eine Frage der Intensität des Bewusstseins.

Ich lade Sie herzlich ein, durch die Kombination von Zen und Yoga Ihre eigenen Leiberfahrungen zu machen, zum Beispiel hier.

Michael von Brück

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