15.05.2013 08:23

Zen kennt kein Alter

Wer immer einen Einführungskurs besucht hat, ist bei meinen Zen-Kursen willkommen: fromme und weniger fromme, katholische, evangelische und andere, Männer und Frauen, Junge und Alte. Beim letzten Kurs betrug der Abstand zwischen der ältesten Frau und dem jüngsten Mann 75 Jahre. Ich habe sie gebeten, gerade mit Blick auf den Altersunterschied einen kurzen Bericht zu schreiben. Es versteht sich, dass der Mann, Wolfram Simon heisst er, noch jung an Jahren, sich leichter tut, für einen Blog zu schreiben. Frau Gusti Kaufmann, die im Januar 97 geworden ist, hat mir per Telefon einige Auskünfte gegeben. Hier ist der Bericht von Jung und Alt.
Niklaus Brantschen

«Wauuu Wolfram, jetzt bist du ja echt saugut!»

Es war für mich das erste Zazenkai. Das Sitzen zusammen mit den Vorträgen von Pater Brantschen erlebte ich als wunderbar erfrischend.
Ein geordnetes Gemisch von Einfachheit, Humor und liebender Weisheit. Natürlich hatte ich auch Gedanken und Gefühle. Wenn ich es wieder mal geschafft habe, die Zehn ohne grössere Störung durchzuzählen gesellte sich ganz leise und unauffällig Stolz und Hochmut dazu. «Wauuu Wolfram, jetzt bist du ja echt saugut!»  Ich war geschmeichelt über so viel «Erfolg», und schon bald wurde ich Zeuge vom Sprichwort: «Hochmut kommt vor dem Fall». Zerknirscht und zerstreut sass ich dann da und fragte mich, wann ich es endlich begreifen würde... In solchen Momenten der Wirrnis war es wunderbar, sich als Teil der Gemeinschaft zu fühlen.

Ich bin noch jung und möchte das Leben lernen. Am liebsten vom Leben selbst. So ein Kurs hebt einen für kurze Zeit aus dem normalen Gesellschaftsgefüge von Alter und Berufsstand. Und für einen Augenblick kann ich in eine Welt schauen, die sonst für mich eher verschlossen ist. Plötzlich erzählt jemand im Alter meiner Mutter unter Tränen von ihren seelischen Erlebnissen während des Sitzens. Dies macht mich betroffen – aber viel wichtiger ist, dass ein solches Erlebnis das nackte Leben zeigt.  Das Leben wie es ist. Das interessiert und freut mich, und lehrt mich Grundlegendes.

Es ist schön, wenn sich die Generationen friedlich vermischen. Im Zazenkai tritt man als Gemeinschaft in einen Intimitätsbund zueinander. Vielleicht wegen der Stille, Vielleicht wegen des gemeinsamen Weges. Die Teilnehmenden erzählen von Trauer, von Schmerz, aber auch von Freuden und Lebenslust. Man bekommt in der Schlussrunde einen ganz ausserordentlichen Eindruck vom Leben in seiner Ungeschminktheit, über alle Altersgrenzen hinweg. Ja, das Leben, das pure Leben möchte ich lernen. Wenn ein Teilnehmer sich in seiner Zerbrechlichkeit zeigt, bricht mir das manchmal die Schale und ich öffne mich für einen Augenblick der starken Liebe zum Menschen. Es ist gut, Mensch zu sein.
Frau Kaufmann mit Ihren 97 Jahren ist schon eine Wucht. Ihr Alter ist für mich eher unvorstellbar, ihre Lebenserfahrung nur erahnbar. Ich habe es genossen, ihr zuzuhören. So heiter und so normal. Was mich persönlich am meisten beeindruckt hat, ist ihre unglaublich lange Erfahrung auf dem Zen-Weg. Fast  40 Jahre. Solche Begegnungen relativieren die Wahrnehmung zur eigenen Person. Sie geben mir eine gesunden Bezug zum Leben, zur Zeit und schälen das Wesentliche heraus. Ich schäme mich dann fast beim Gedanken an meinen Stolz über ein paar Stunden gelungene Meditation. Solchen Leuten zu begegnen ist für mich junger Kauz sehr motivierend. Es bestärkt mich, dranzubleiben und die Zeit zu nutzen. Meinen Respekt an Sie, Frau Kaufmann und ich hoffe, dass ich im Alter auch mit dieser Heiterkeit auf mein Leben zurückschauen kann.
Wolfram Simon

Zen-Meditation – ein Stück Heimat für mich

Ich bin 1976 zum ersten Meditationskurs nach Bad Schönbrunn gekommen. Pater Lutze SJ war der Leiter des Kurses. Nach dem Kurs wusste ich: das ist es. 1978 lernte ich Pater Lassalle bei einem Kurs in Schönbrunn kennen. Er war so einfach, so nahbar und unkompliziert. Ich hatte keinerlei Hemmungen, mit ihm zu reden. Vor allem beeindruckte mich sein Humor, der immer wieder wie ein kleiner Blitz aufsprühte. 1988 schliesslich wurde ich Schülerin von Pater Brantschen, und seither, also seit 25 Jahren, komme ich drei Mal jährlich zu einem Zen-Kurs in das Lassalle-Haus. Insgesamt habe ich jetzt ziemlich genau 100 Kurse auf dem Konto. Da gehört es sich, dass ich jeden Abend zwanzig Minuten sitze. Zen ist für mich ein Stück Heimat geworden. Ich könnte es nicht missen. Und wenn ich ganz ruhig dasitze, spüre ich die leere Unendlichkeit und werde still. Ganz still. Im Altersheim, wo ich wohne, werde ich gelegentlich gefragt, warum ich so ruhig sei. Dann ergibt sich ein Gespräch, und manchmal fällt mir ein Satz ein, von dem ich nicht weiss, woher er kommt. Zum Beispiel: Leben ist vor allem ein Geschenk. Ich will dankbar sein dafür.
Gusti Kaufmann

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