14.03.2013 12:16

Bericht aus einem sozialen Weberei-Projekt

Nichts als Farbe

Zen-Meditation

Nach den berauschenden Tagen in Istanbul war es aufklarend und fast erfrischend aber auch ernüchternd, auf dem Flugplatz in Van in Ostanatolien zu landen. Einzig unsere Maschine auf dem weiten Flugfeld. In der Ferne die weissen Höhenrücken, dazwischen verstreut einige Siedlungsbauten sichtbar. Nur noch geringe Spuren der Erdbeben, die den Ort Ende 2011 heimgesucht hatten. Wir waren in gut fünf Minuten durchgecheckt. Der Wagen, der uns abholte, stand schon bereit.
Man wähnte sich nicht auf 1700 Höhenmetern. Das erstaunlich milde Wetter, Vorbote des Frühlings, half dabei mit, sich in einer tieferen Lage zu glauben. Eine erste Überraschung. Wir waren ja auf frostige Tage gefasst. So blieben unsere dicken Mäntel und die wolligen Mützen in den Koffern oder über unseren Armen hängen.
Noch schienen – nun in dieser weit stilleren Umgebung – der Verkehrslärm, die Rufe der Muezzins, das Dröhnen der Popmusik über der breiten Gasse der dicht gefüllten Istiklal Caddesi, Möwengeheul und Autohupen in unseren Ohren nachzurauschen. Wir spürten die dynamische brodelnde Bewegung dieser grössten europäischen Stadt noch in unseren Gliedern, jetzt, wo wir in der Spätwintersonne einfach Zeit hatten, die Bekannten, die uns erwarteten, zu begrüssen und den wegfahrenden Mitpassagieren, die auch abgeholt wurden, hinterher zu sehen. Die leichte Erregung nach der Landung verflüchtigte sich. Ruhe kehrte ein.
Und wir alle wurden zu den verschiedenen Kelim-Werkstätten gefahren, wo wir aufs freundlichste von den Weberinnen empfangen wurden.

Nun, jetzt, tauchen alle diese Erinnerungen wieder in mir auf. In Gedanken eine fast überreiche Fülle von Bildern, umgeben von einer kargen Landschaft, mit Blick auf viele leergeräumte Siedlungsfelder, wo unzählige Häuser durch die wiederholten Erdstösse vor Monaten zusammenbrachen. Jetzt, das ist der Moment, wo ich am Computer sitze, nachdem ich all die Aufnahmen durchgesehen habe. Lachende Frauen- und Mädchengesichter. Teilweise mit verschleierten, eher aber mit offen getragenen Haaren. Manchmal schwatzend, unter einander tuschelnd und uns aufmerksam zuhörend.
Umgeben von Ihnen, wir, meine Mitarbeiterinnen, die ganze Gruppe, im Gespräch dicht begleitet von unseren Übersetzern, inmitten von gesponnener Wolle, die aufgehäuft und farbig sortiert um uns herum liegt. Ein Fressen für die Augen ... trunken wird man fast davon ...

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Und in all dieser Vielfalt von Eindrücken, denen ich sinnierend nachhänge, fokussiert sich mir plötzlich dieses eine Bild heraus und weckt mich aus meinem Abschweifen: auf der Projektions-Leinwand in diesem Amtsgebäude in Van, ganz im Osten der Türkei, unweit der iranischen Grenze, gross eingeblendet, diese ausladende Fläche von lauter Dreiecken auf Papier. Ein riesiges Blatt verschiedenster Rottöne, gestempelt aneinandergereiht, vielfältig geworden durch kleine Farb- und Formabweichungen, Unpräzisionen eigentlich, die jedoch dieser Fläche, diesem Teppich, diesem Vorhang, diesem Netz aus gleichseitigen Dreiecksflächen eine lebendige faszinierende Ausstrahlung verleihen.

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Ich sehe mich schauend in Van, in der Werkstatt der Kelim webenden Frauen.
Und ich sehe mich gleichzeitig schauend im grossen Saal der Forrenmatt im Lassalle-Haus in Bad Schönbrunn. Hier, umgeben von schweigend malenden Teilnehmerinnen im Kurs "Nichts als Farbe | Kunst als Weg". Das Schlurfen der Schuhe ist zu hören, das saftende, leicht schmatzende Auftragen von Farben mit den Pinseln auf die Stempelflächen und deren knisterndes Abdrücken auf dem Papier, um allmählich – ohne zu wissen wohin und weshalb – zu diesem grossen Ornamentbild zu gelangen, das uns schliesslich, unversehens, für unser gemeinsames Schweigen im Gelben Saal einen feierlichen Rahmen als Wand-Bild-"Teppich" zu bilden vermag.

du –
sängerin mit farben
ist deine stimme
farben strahlt dein gesang
und strahlt in helle, versinkt
im dunkeln
als ein ewiger tanz
unsere freude und schmerz
sind gestimmt
aus dem abglanz
strahlen deines lichts
das sich zu unserm herzen hinsehnt und
uns durchdringt

Gegen 4000 Kilometer liegen diese beiden Orte auseinander und sind einander nun wie durch Zufall etwas näher gerückt. Ein "Farbanliegen" verbindet die so unterschiedlichen Orte.
Dort sind es gestalterische Entwürfe und Gespräche und Erörterungen für Kelimteppiche in einem sozialen Weberei-Projekt.
http://www.hadd.org.tr
Hier ist es Ausgangspunkt, um ins absichtslose Malen zu geraten. Beide "Projekte" sind begleitet von achtsamem Schweigen einander und sich selber gegenüber; mit offenem Blick, der nichts will und nichts fordert, wo Hände ausführen oder veranlassen, was schauend erfahren werden kann: in Farbe, in einer Fülle von Nichts als Farbe...

Jörg Niederberger
www.joergniederberger.ch

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