03.06.2020 08:53
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Exerzitien im Lassalle-Haus

5 Tage Stille - schaffe ich das?

Im Rahmen des Weiterbildungsprogramms für reformierte Pfarrer*innen habe ich mich für Exerzitien im Lassalle-Haus angemeldet. Exerzitien (vom lat. exercere – sich einüben) gehen zurück auf die exercitia spiritualia, die «Geistlichen Übungen» von Ignatius von Loyola (1491-1556). In Exerzitien zieht man sich für einen bestimmten Zeitraum bewusst in die Stille zurück und nimmt sich Zeit zum Beten.

Exerzitien habe ich noch nie gemacht. Deshalb weiss ich auch nicht genau, was auf mich zukommen wird. Mit dem Einladungsschreiben erhalte ich erste Informationen. Ein Tagebuch, eine Bibel und wetterfeste Kleidung soll ich einpacken. Zudem wird empfohlen, das Natel während der Exerzitien komplett abzustellen und keine Literatur mitzunehmen.

Mir wird etwas mulmig: Was soll ich denn fünf Tage neben Schweigen, Beten und Bibellesen machen? Wird mir da nicht langweilig? Oder schlimmer noch - kann ich mich selbst überhaupt fünf Tage lang ohne jegliche Ablenkung aushalten? Fünf Tage komplette Stille – schaffe ich das?

Sich auf die Stille einlassen

Ich reise mit gemischten Gefühlen ins Lassalle-Haus, das in der Nähe von Zug von Jesuiten geführt wird. Sieben andere Pfarrer*innen leisten mir in dieser Woche Gesellschaft. Ein Jesuit und eine reformierte Pfarrerin leiten die Exerzitien. Nach dem Ankommen und einer kurzen Vorstellungsrunde beginnt bereits mit dem ersten Mittagessen die Zeit des Stille. Wir werden in den kommenden Tagen kein Wort miteinander wechseln. Eine Ausnahme bildet lediglich das tägliches Begleitgespräch mit einem der beiden Exerzitienbegleiter.

Ich beginne also, zu schweigen und lasse mich auf die Exerzitien ein. Meine Tage sind klar strukturiert. Gemeinsame Gebete, Gottesdienste und eigene Bibelmeditationen wechseln sich mit den Mahlzeiten, Körperübungen und Spaziergängen ab. Schnell wird mir klar: Vor Langweile brauche ich mich nicht zu fürchten. Mein eigenes Innenleben fordert mich nämlich ziemlich heraus.

Ankommen in der Stille

Je stiller es wird, desto mehr nehme ich mich selbst wahr. Ich spüre meinen Körper klarer und intensiver als sonst. Kann unangenehmen Gedanken und Gefühlen nicht einfach ausweichen. Sie nicht einfach zur Seite schieben. Das ist anstrengend. Sich selbst aushalten, ist anstrengend. Die Gebetszeiten führen mich noch bedingungsloser die Stille. Wir sitzen jeweils 30-45 Minuten in Stille und meditieren einzelne Bibeltexte. Ich merke schnell: So lange still sitzen, will geübt sein. Im Schneidersitz halte ich das höchstens 10 Minuten aus. Ich bin deshalb froh, am ersten Abend eine genaue Einführung in verschiedene Sitzpositionen zu erhalten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, fällt es mir mit der Zeit leichter, ganz still und regungslos in einer Position zu verharren. Eine erste gute Erfahrung.

Stille bewegt

Die äusserliche Ruhe soll helfen, auch innerlich zur Ruhe zu kommen. Die streng geregelte Stille um mich herum, lässt mich tatsächlich ruhiger werden. Die Gedanken und Gefühle kommen und gehen. Für viele unangenehme Fragen, die mich schon lange beschäftigen, nehme ich mir gezwungenermassen Zeit. Sie fordern mich. Aber es ist auch befriedigend, ihnen nicht einfach auszuweichen. Sich nicht vor ihnen zu fürchten. Auf die meisten meiner Fragen finde ich natürlich auch in der Stille keine eindeutige Antwort. Aber die Auseinandersetzung tut gut. Fragen und Problemstellungen werden klarer. Ich fühle mich nicht mehr von ihnen getrieben, sondern kann mich mehr und mehr bewusst zu ihnen verhalten.

Nach fünf Tagen freue ich mich darauf, aus dem selbst auferlegten Stille-Korsett wieder auszubrechen. Ein wenig stolz darauf, dass ich es geschafft habe, bin ich auch. Und so geniesse ich es, beim letzten Mittagessen erstmals ausgiebig mit meinen Pfarrkolleg*innen zu sprechen. Auf dem Heimweg schalte ich mein Natel an. Eine Nachricht nach der anderen poppt auf. Ich beginne, zu antworten. So viel habe ich gar nicht verpasst. Die Welt kommt gut ein paar Tage ohne mich klar. Und ich anscheinend auch ohne sie.

Hannah Thullen

Hannah Thullen ist reformierte Pfarrerin in Davos

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