19.05.2020 10:50

Wenn sich der Corona-Nebel lichtet

Ich hab manchen Tag getrauert,
Dass alles so vergänglich ist,
Und dass das gute selbst nicht dauert,
Und dass man sein so bald vergisst.

Es lässt sich schon das Glück nicht binden,
Man hält es fest, so lang es geht;
Doch kann man es auch wiederfinden,
Wenn man das Suchen nur versteht.

Oft muss man erst durch Wolken dringen,
Eh‘ man des Himmels Blau entdeckt:
So lässt das Gute sich erringen,
Weil sich das Beste nur versteckt.

Diese Zeilen von von Fallersleben begleiten mich, jetzt wo sich die Wolken der Corona Krise langsam lichten. Diese Krise hat uns so manches aus der Hand geschlagen, auch im Lassalle-Haus: Der geschäftige Alltag, das selbstverständliche Reisen, das Zusammenkommen. Von Fallersleben ermuntert uns, nicht wehleidig nach hinten zu schauen, sondern mit einem guten Gespür nach vorne zu blicken. Was haben wir in diesen Wochen erlebt? Und wo liegt jetzt das Gute, das es zu erringen gälte in unserem Leben und in unserer Gesellschaft?

Plötzlich waren Grenzen, Flug- und Zugverbindungen unterbrochen. So begann auch ich meine nahe Umgebung neu zu entdecken. Bei meinen Streifzügen durch Wald und Wiesen habe ich wieder die wunderschönen Grüntöne des Frühlings entdeckt, Balsam für meine Augen. Dann die Vogelstimmen. Noch nie habe ich sie so kräftig wahrgenommen. Mit Muse die Natur in uns Resonanz finden lassen. Die Corona-Pandemie ist für mich ein Augenöffner nicht nur für unsere menschliche Verletzlichkeit, sondern auch für unsere mannigfaltige Verbundenheit. Und diese Verbundenheit erlebe ich als Reichtum. So erfahre ich Covid 19, weniger als Krankheit, sondern mehr als Krankheitssymptom, das unsere vernachlässigten Beziehungen zu unserer gefährdeten Natur erkennbar macht.

Vernachlässigte Beziehungen auch zu unseren Mitmenschen. Was mich in den vergangenen Wochen beeindruckt hat, war das grosse Engagement von Solidarität. Nicht nur die Gesundheitsberufe, denen zu Recht in vielen Ländern applaudiert wurde. Auch in unseren kleinen, überschaubaren Lebensräumen. Nachbarn übernahmen Einkäufe für die Älteren. Befreundete Institutionen boten Raum für die durch das Home-Schooling allzu strapazierten Eltern und Telefonketten meldeten sich bei Alleinstehenden, um einer Vereinsamung vorzubeugen. Wir Menschen sind nicht nur kühle Nutzenmaximierer, wie uns manche Ökonomen glauben machen wollen. Tief in uns ist auch die Bereitschaft und die Sehnsucht für andere nützlich sein zu können.

Schliesslich wurden viele von uns in den vergangenen Wochen zu Stille und Stillstand gezwungen. Und doch kann die Stille zum Segen werden. „Der Mensch neigt dazu, die kontemplative Ruhe auf den Bereich des Unfruchtbaren und Unnötigen herabzusetzen und vergisst dabei, dass man so dem Werk, das man vollbringt, das Wichtigste nimmt: seinen Sinn“ (LS 237). In seiner Umwelt- und Sozialenzyklika Laudato Si weisst Papst Franziskus auf diesen Segen von Ruhepausen hin. Sie sind nicht nur ein Geschenk für uns selbst. Sie sind auch die Voraussetzung für ein gelingendes Gemeinwesen. Unsere Wirtschaft kann nachhaltiger und unser globales Zusammenarbeiten gerechter werden. Das Gute lässt sich erringen. Wir müssen es aber auch wollen.

Die Stille und die Ruhepausen können Sie ab dem 8. Juni auch wieder bei uns im Lassalle-Haus in Bad Schönbrunn geniessen. Wir freuen uns auf Ihr/ auf Euer Kommen!

Tobias Karcher SJ

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